Game-Changer oder Authentizitäts-Bremse?
Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir arbeiten, dramatisch zu verändern. Nachdem wir in unserem vorherigen Artikel gezeigt haben, wie man KI im Influencer Marketing einsetzten kann, wollen wir uns nun auf unsere Perspektive fokussieren. In diesem Artikel geben Ramona Meier, Director Client Services bei TERRITORY und Karsten Hoffmann, Executive Director Product and Technology bei TERRITORY exklusive Einblicke zum aktuellen Stand, wie KI in der Welt des Influencer Marketings eingesetzt wird, mit Beispielen aus unserem Agenturalltag.
In welchen Bereichen des Influencer Marketings setzten wir KI bereits ein?
KH: Um diese Frage zu beantworten, müssen wir erst zwischen analytischer und generativer KI unterscheiden. Analytische KI wird z. B. für Datenanalyse, Mustererkennung und Prognosen eingesetzt. Generative KI hat etwas mit der Text-, Bild-, Audio, und Videoerstellung zu tun. Während die analytische KI in vielen Bereichen bereits eingesetzt wird, ist die generative KI eher im Experimentierstadium mit unklarer Rechtslage.
RM: TERRITORY nutzt KI beispielsweise für Social Listening Analysen, so können wir Trends, Inhalte und Stimmungslagen evaluieren.
Was funktioniert heute schon gut? Was weniger gut?
RM: Wir erhöhen unsere Produktivität im Tagesgeschäft durch KI z. B. bei Übersetzungen, Bilderstellung und -bearbeitung oder Briefing-Assets. Zudem sehen wir große Fortschritte im Bereich der Bild-KI z. B. für Moodboard-Erstellung zur Inspiration der Influencer:innen und damit sie die Werte einer Brand besser verstehen können. Hier sind seit Kurzem auch Lösungen am Markt, die rechtssicher eingesetzt werden können. Dann gibt es Bereiche, für die wir KI unterstützend nutzen. Eine Vorauswahl an potentiell passenden Influencer:innen (z. B. Interessen, Audience-Demografie, verwandte Profile) ist möglich, die Auswahl ist aber noch sehr wahllos und muss zwingend von erfahrenen Expert:innen geprüft werden, um eine finale Auswahl erstellen zu können. Neben Zahlen, Reichweiten und Engagement sind für uns Soziodemografie, Interessen, Historie, Bild- und Textinhalte wichtig, was die KI aktuell nur sehr limitiert leisten kann. KI hilft, um Influencer:innen-Profile im Blick zu behalten, die künftig eventuell relevant werden könnten. Zudem nutzen wir Tools zur Qualitätssicherung z. B., um Indikationen für Follower- oder Engagement-Manipulation zu erhalten. Grobe Vorhersagen zur Performance auf Basis von historischen Daten können so ebenfalls getroffen werden. Was gar nicht funktioniert, ist die Automatisierung im Kommunikations- und Abstimmungsprozess. Influencer Marketing ist ein People Business, bei dem es kontinuierlich zwischen Kund:innen, Influencer:innen und deren Publikumsinteressen und -vorlieben abzuwägen und zu vermitteln gilt, das kann nicht durch KI ersetzt werden.
Mit welchen Tools arbeitet TERRITORY?
KH: Intern setzen wir aktuell auf einen Mix aus Drittanbietern und eigener Softwareentwicklung. Wir unterscheiden hier zwischen zwei Anwendungsfällen: “Klassisches“ Influencer Marketing, bei dem in einer Kampagne jeweils nur wenige Influencer:innen eingesetzt werden, die jedoch größere bis riesige Reichweiten haben. Und Nano-Influencer-Marketing, bei dem in einer einzigen Kampagne viele tausend Menschen zu finden, koordinieren und anzuleiten sind. Im ersten Fall (“klassisch”) setzen wir auf Drittanbieter-Angebote, im zweiten Fall (Nano) setzen wir auf Eigenentwicklung. Analytische KI ist in nahezu allen Tools bereits im Einsatz. Generative KI (aus o.g. Gründen) meist noch in den Kinderschuhen und daher bis auf wenige Ausnahmen noch nicht im Produktiveinsatz. Hier evaluieren wir konstant potenzielle Mehrwerte für einzelne Prozessschritte.
Welche Herausforderungen gibt es hier/welche Probleme gilt es noch zu lösen?
KH: Bei analytischer KI gibt es Herausforderungen bei der Verfügbarkeit von Plattformdaten. Der externe Zugang zu Daten wurde in letzter Zeit immer weiter eingeschränkt, Meta hat zum Beispiel in den letzten Jahren die öffentliche Verfügbarkeit ihrer Daten stark reduziert, und die Art der Daten variiert, aufgrund von eigens definierten Berechnungsmetriken. Bei generativer KI ist die größte Hürde aktuell sicherlich noch der rechtliche Bereich. Insbesondere mit Blick auf die noch ungeklärte Urheberrechtsdiskussion. .
Unsere ultimativen Tipps:
KH: Nehmt die neuen KI-Entwicklungen ernst, aber lasst euch nicht verrückt machen. Schafft stattdessen Räume zum Experimentieren und gut sichtbare Orte, an denen Gelerntes dokumentiert und Erfahrungen ausgetauscht werden können. Achtet dabei auf Praxisnähe und darauf, eurer Organisation nicht nur Erfolge, sondern auch Learnings und den manchmal sehr mühsamen Pfad hin zum Erfolg oder Schwächen zur Verfügung zu stellen. Das senkt Hürden, lädt zum Mitmachen ein und hilft bei der Evaluation der Skalierbarkeit und somit des Geschäftspotenziales. Macht nicht „irgendwas mit KI“, sondern filetiert eure Prozesse und Workflows und überprüft, wo KI hier den größten Mehrwert bieten kann. Gute Indikatoren sind repetitive Aufgaben sowie Selbstähnlichkeit der Ergebnisse (inhaltlich, strukturell) oder wenn ganz bewusst eine Vielzahl unterschiedlicher Ergebnisse erzeugt werden soll, aus denen anschließend ausgewählt wird.
Wie sieht die zukünftige Rolle von Künstlicher Intelligenz im Influencer Marketing aus? Welche Entwicklungen oder Trends erwarten wir in diesem Bereich?
KH: Influencer:innen experimentieren ebenfalls bereits mit generativer KI. Experimentierfreudige Influencer:innen werden damit Möglichkeiten finden, neue und bessere Geschichten zu erzählen. Die zentrale Währung von Influencer:innen ist das Vertrauen ihrer Community (und natürlich ihrer Kooperationspartner:innen). Transparenz über den Einsatz von KI wird ein wichtiger, weiterer Qualitätsfaktor werden. Influencer:innen werden beginnen mithilfe automatischer Übersetzungen und digitalen Zwillingen ihr Publikum über Sprachgrenzen hinweg zu erweitern und somit ihre Reichweite zu erhöhen.
Spannend wird meines Erachtens auch die Entwicklung von Influencer-Avataren, wie sie z. B. Meta kürzlich eingeführt hat. Sprich der Möglichkeit, mit dem digitalen Zwilling eine:r Influencer:in direkt zu interagieren. Auch das können interessante Erweiterungen von Influencer-Persönlichkeiten werden. Erfolgreiche, virtuelle Influencer:innen werden aus meiner Sicht ein faszinierendes Nischenthema bleiben und benötigen aktuell immer noch meist ganze Spezialisten-Teams, um zu existieren und relevant zu bleiben. Durch die Fortschritte in der generativen KI wird dies jedoch immer leichter und somit günstiger. Das könnte kurzfristig auch zu einem Anstieg an Fake-Influencer:innen führen.
Am Schluss geht es jedoch immer darum, eine Beziehung zur Audience aufzubauen und diese an sich zu binden. Wer nicht einzigartig oder vertrauenswürdig ist, ist schnell weg vom Fenster und für Marken uninteressant. Der Kern des Influencer Marketings ist und bleibt daher Menschlichkeit.